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Dienstag, 26. April 2011

Schlimme Erfahrungen in der HNO-Klinik

An einem sonnigen Sonntag im März erblickte ich das Licht der Welt. Meine glückliche taube Eltern hielten mich im Arm und gebärdeten: „dass sie mich lieben und in guten und schlechten Zeiten begleiten werden“. Ich entwickele mich ganz normal wie jedes andere Baby, das Liebe, Wärme und Geborgenheit von seinen Eltern bekommt. Ich schreie und weine, wenn ich Hunger, Liebe, (Bauch)schmerzen habe. Ich lache, wenn ich glücklich bin. Mein Lachen hat meine Eltern zu glückliche Eltern gemacht. Als ich den 4. Lebensmonat erreicht habe, hat meine Familie ab und zu mit mir Hörtests gemacht, indem sie auf einen Kochtopf mit einem Kochlöffel trommeln oder mein Name rufen. Sie haben einige Auffälligkeiten bei mir gesehen. Da es meinen Eltern schon klar waren, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass ich auch taub bin. Sie zweifelten und wussten nicht, zu welcher HNO Klinik sie mich zur Hörtest schicken sollten. Sie haben „gehört“, dass das HNO-Uniklinikum in Mainz sehr gut sein soll. Da es damals noch keine oder sehr wenige Gebärdensprachdolmetscher  und keine besondere Telefonvermittlungsdienste für tauben Menschen gab, wurden meine hörenden Großeltern Vertrauenspersonen die dolmetschen und telefonieren. So haben sie einen Termin an der Klinik gemacht und sie erklärten meinen Eltern, dass ich für eine Woche dort zum Hörtest (und evtl. Hörgeräteanpassung) bleiben muss. Meine Mutter packte alle wichtigen Sachen ein und ist mit mir in die Klinik gefahren. Es wurde dann ein Hörtest durchgeführt und der Arzt stellte fest, dass ich, an Schwerhörigkeit an der Grenze zur Taubheit leide. Diese Diagnose hat meine Eltern und Familienmitglieder trotzdem am Anfang schockiert, auch wenn es vorher schon zu befürchten war. Denn ich bin als 4. Enkelkind von tauben Großeltern, aber das erste taube Enkelkind. Dann heißt es: eine Woche lang Hörgeräteanpassung um die geeigneten für mich zu finden. Darauf waren meine Mutter und ich vorbereitet. Doch wurden mit mir jeden Tag mit viele neue  und vorher nicht besprochene Untersuchungen durchgeführt, in die meine Eltern nicht eingewilligt hatten: es wurde ein EEG gemacht, ein Sehtest wurde durchgeführt und der Arzt wollte mir Blut abnehmen und untersuchen lassen, ob die Taubheit genetisch vererbt ist. Meine Eltern lehnten das ab, denn sie wollen nicht davon wissen und akzeptieren mich so, wie ich bin. Außerdem wollten sie das Risiko nicht eingehen, am Kopf Blut abzunehmen. Der Arzt war nicht begeistert und wirft meine Mutter vor, sie sei verantwortungslos. An einem Mittag gab meine Mutter mir Brei, plötzlich stürmte die Krankenschwester ins Zimmer und sagte, dass ich in 5 Minuten fertig sein muss und zur Blutabnahme muss. Meine Mutter wusste von diesem Termin nichts und lehnte ab, da ich gerade Brei aß. Sie fütterte mich weiter – dann stürmten wieder die Krankenschwester rein und meinten, dass ich jetzt mitkommen muss. Meine Mutter war machtlos und kam mit. Sie haben versucht, mich hinzulegen. Ich weinte und weigerte mich. Meine Mutter musste alles mitansehen und sie hatte Mitleid mit mir. Als ich anfing, den gegessenen Brei zu erbrechen, nahm meine Mutter mich mit und ist schnell nach draußen gegangen, um nächste Telefonzelle zu finden. Da es damals noch kein Handy gab, war es nicht einfach, meine Großeltern zu benachrichtigen. Meine Mutter rief meine Großeltern an und sagte, dass sie sofort kommen sollen. Mehr konnte sie am Telefon nicht sagen. Meine Großeltern sind sofort nach Mainz gefahren und haben sich alles angehört, was meine Mutter mit mir in 5 Tage alles erlebt hatte. Dann fand das Gespräch mit Ärzten statt. Meine Eltern und Großeltern haben gesagt,  dass sie nicht noch mal hierher kommen werden, weil ich kein „Versuchkanninchen“ sei. Uns wurde dann ein Rezept für neue Hörgeräte ausgestellt. Meine Mutter war mit den Nerven total am Ende. Die Hörgeräteanpassung erfolgte dann beim Akustiker in unsere Nähe und ich bekam mit 6 Lebensmonaten Hörgeräte. Nach paar Wochen bekamen meine Großeltern einen Anruf von meinem Kinderarzt und wir mussten dringend zu ihm kommen, da er einen wichtigen Brief bekam. Der Kinderarzt hat gesagt, dass er einen Brief von der Uniklinik Mainz bekam und gezwungen ist, uns zu mitteilen: Die Ärzte haben beschlossen, dass meine Eltern keine weitere Kinder bekommen dürfen, da ich eine große Belastung für sie sei, die sie lebenslang tragen werden. Am Schluss hat der Kinderarzt den Brief zerrissen und weggeschmissen.

Dieses Erlebnis haben meine Familie, vor allem meine Mutter nie vergessen.

Die Geschichte geht aber weiter und nimmt ein gutes Ende…

Mittwoch, 20. April 2011

Ein Leben ohne Musik – unvorstellbar!

die Musik hat eine große Bedeutung in der hörenden Gesellschaft. Oft bekomme ich zu hören „Ein Leben ohne Musik? Unvorstellbar!“ und aus diesem Grund werde ich auch häufig wegen meiner Taubheit bemitleidet: Was, du hörst keine Musik? Das ist sehr traurig! Musik ist sehr wichtig – so in der Art.
Ich versuche jetzt erklären, warum ich Musik in meinem Leben nicht vermisse. Es heißt nicht, dass wir Partys ohne Musik machen! Auf Gehörlosenpartys ist auch immer Musik dabei, meistens Musik mit vielen Bässen, da wir vor allem Rhythmen und Bässe spüren können. Ihr fragt euch jetzt bestimmt, wie kann ein tauber Mensch Musik spüren? Ich habe mal das Spüren an meinem Körper mit und ohne Hörgeräte getestet und stellte fest, dass ich Musik ohne Hörgeräte viel intensiver und genauer spüre. Wie wir „spüren“ ist nicht einfach zu beschreiben, aber ich versuche es. Die Bässe spüren wir hauptsächlich in der Brust und an den Füßen. Wir fühlen auch die Vibrationen und Schwingungen, die unterschiedlich stark sind. Ich bin keine Tänzerin, aber so ähnlich geht auch bei tauben Tänzern, die nach Gespür auf Rhythmen tanzen. Sie fühlen sich in die Musik hinein, erlernen die Bewegungen, Schritte, Takte. Es wird dann quasi ein automatischer Ablauf, auch wenn man nicht mehr alles direkt spürt.
In Gebärdensprache singen wir Lieder, zum Beispiel in einem Gebärdensprachchor. Ich habe an einer AG in der Schule Gebärdenchor mitgemacht und wir sind zusammen mit der Schulband öffentlich aufgetreten. Viele Zuschauer, vor allem Kinder versuchten uns nachzumachen. Es war ein schönes Gefühl und eine schöne Erinnerung. Einige kulturinteressierte Hörende schrieben mich an, dass sie schon mal ein Gebärdenchor angeschaut haben und finden es faszinierend und phantastisch (auch ohne Gebärdensprachkenntnisse).

Mit dem Vergleich möchte ich versuchen euch auch zu vermitteln, dass wir Musik nicht vermissen, aber genauso phantastisch finden, wie wenn ihr euch unser Gebärdenchor anschaut.

Hier noch einige Tipps zum Ansehen:
SIGNMARK“ (=Zeichen setzen) ist ein finnische Musikband und besteht aus zwei hörenden Musikern und einem tauben Rapper. Ich habe die Band zum ersten Mal in Köln im Jahr 2008 live miterlebt und das ist ein Erlebnis! Schaut euch mal das Video an: http://www.youtube.com/watch?v=Q8YzAo2haKI
Es gab mal auch Konzerte z.B. von Peter Maffay, die für Gehörlose in Gebärdensprache simultan übersetzt wurden: http://www.lifepr.de/pressemeldungen/deag-deutsche-entertainment-ag/boxid/65773

Ein Musikvideo "Willkommen in die Realität" von Jef Bam Hayoukid mit deutsche Gebärdensprache:
http://www.youtube.com/watch?v=zdWy3X0vBQ4 

Ein Musikvideo „It Feels So Good“ by Damon Timm mit amerikanische Gebärdensprache: http://www.youtube.com/watch?v=UtEg3EQwN9A
Mehr zum Thema Gehörlose und Tanzen: Kassandra Wedel
Das Supertalent 2010 mit dem gehörlosen Tänzer, Tobias „Tobiz“ Krämer

Samstag, 16. April 2011

Taube Menschen können besonders gut SEHEN!

Ich wurde von einem Twitterer gefragt, ob taube Menschen mit ihren Sinnen anders bzw. besser wahrnehmen können als Hörende.
Meine Antwort ist ja. Die visuelle Wahrnehmung in der Regel bei uns Gehörlosen ist viel ausgeprägter als bei Hörenden. 

Anbei ein wissenschaftlicher Auszug: Forscher haben entdeckt, warum die verbliebenen Sinne von Blinden oder tauben Menschen schärfer sind als von Menschen ohne Behinderung:
Wenn ein Sinn fehlt, lässt das Gehirn die eigentlich dafür zuständigen Areale nicht etwa brachliegen – es nützt sie vielmehr, um andere Sinne zu unterstützen.
Gezeigt haben die Forscher es bei tauben Katzen: Diese nutzen Teile ihre Gehirns zum Sehen, die eigentlich fürs Hören vorgesehen sind. Die Sinneseindrücke der Augen werden also nicht nur im Sehzentrum der Tiere verarbeitet, sondern auch in den Hör-Arealen.

Quelle: http://www.hno-aerzte-im-netz.de/news/hno-news/gehoerlose_menschen_sehen_besonders_gut.html

Samstag, 9. April 2011

Geheimsprache? Gebärdensprache!

Unter Gebärdensprache versteht man die Kommunikationssprache von tauben Menschen. Sie gebärden mit den Händen ergänzend mit Mimik, Mundbild (ohne Stimme) und im Kontext die entsprechende Körperhaltung. Man unterscheidet „Deutsche Gebärdensprache“ (DGS) und „Lautsprachbegleitende Gebärden“ (LBG) bzw. Gebärdetes Deutsch. Bei der LBG wird jedes einzelne Wort simultan und wortwörtlich gebärdet. Bei DGS wird der Satzaufbau umgestaltet, das Verb kommt am Ende des Satzes, manchmal fällt es sogar ganz weg. Die DGS hat nicht nur eine ganz eigene Grammatik, sondern ermöglicht, dass mehrere Worte durch eine einzige Gebärde ausgedrückt werden. Dadurch wird natürlich die Kommunikation enorm beschleunigt. Wichtig ist es noch zu erwähnen, dass die DGS, unsere Muttersprache, keine Schriftsprache kennt!
Hier mal eine Beispielübersetzung: Der Fahrrad fuhr durch einem Waldweg.
in LBG: „Der“, „Fahrrad“, „fahren“, „Vergangenheit“, „durch“, „ein“, gefingertes "em" und „Waldweg“.
in DGS: „Fahrrad“, „Waldweg“ und „fahren durch einem Waldweg“.

Mit der Gebärdensprache blühen Gehörlose auf, fallen die vermeintlichen Barrieren in ihrem Leben. In Gebärdensprache können sie sich locker und schnell über alles unterhalten.

„Weltgebärdensprache“
Die deutsche Gebärdensprache ist von Land zu Land unterschiedlich. Trotzdem klappt die Verständigung mit ausländischen tauben Menschen ganz gut. Für Hörenden ist Englisch eine Weltsprache. Für uns ist American Sign Language (ASL) die „Weltgebärdensprache“. Außerdem haben wir auch noch die „Internationale Gebärdensprache“, die ich persönlich einfacher finde.  

Dialekte
Außerdem gibt es in der Deutschen Gebärdensprache auch Dialekte! Einige Gebärden zwischen Nord- und Süddeutschland sind sehr unterschiedlich, wie z.B. die Gebärde von Wochentagen. Der Sonntag wird im Süden mit einer betenden Hand vor der Brust beschrieben (viele gehen im Süden sonntags in die Kirche), im Norden wird sich mit der flachen Hand an der Brust runtergestrichen (man zieht sonntags die schönsten Kleider an). Trotz Dialekte gibt es geringe Verständigungsprobleme unter tauben Menschen. Wenn eine Gebärde für uns neu ist, unterstützen sie dann mit Mundbild und Körpersprache, um diesen Dialekt besser zu verstehen.

"Wir sind nicht behindert",
erklären wir, taube Menschen darum immer wieder den Hörenden. Wir sprechen nur eine andere Sprache, sozusagen sind wir eine sprachliche Minderheit. Im Vergleich zu einem hörenden Deutschen, der im Ausland ist, wo er die Sprache nicht kennt, fühlt er sich genauso „behindert“.

Und das Beste zum Schluss:
Ihr könnt einige Worte online im Gebärdenwörterbuch nachschauen, wie sie gebärdet werden: www.spreadthesign.com. Hier werdet ihr auch feststellen können, dass in jedem Land anders gebärdet wird! Außerdem könnt ihr versuchen bei http://www.spreadthesign.com/de/alphabet/ euren Namen zu „fingeralphabetieren“ - viel Spaß!

UPDATE am 17. Juli 2011
Es gibt einige Rückmeldungen zu meinem Blog, was, "wir fühlen uns nicht behindert" betrifft. Ich habe letztes Mal sehr knapp geschrieben und ich erkläre hiermit gern, um Missverständnis zu vermeiden, wie ich das Wort personsbezogen richtig definiere: denn jede Behinderte definiert das Wort „Behinderung“ unterschiedlich. Ich bin in einer tauben Familie aufgewachsen und dort spürte ich die Behinderung fast nicht. Tauben Menschen haben eine eigene Kultur, Schule, Vereine wo sie in Gebärdensprache kommunizieren können. Da fühlen wir uns nicht behindert, weil uns nichts behindert. Wenn wir in normalen Alltag wie zum Beispiel  am Bahnhof sind und die Durchsage nicht mitbekommen, TV oder Radio – werden wir durch die Kommunikation mit Hörende behindert. Man verwendet heutzutage das Wort Barriere. Wir sind sozusagen eine Minderheitsgruppe von Sprache.
Mein Fazit ist:
Wenn ich mit Hörende zusammen bin, bin ich behindert, weil da Kommunikationsschwierigkeiten gibt. Bin ich mit  tauben Menschen zusammen, fühle ich mich nicht behindert. Das heißt nicht, dass ich mich als Gesunde ausgebe.